Xavier de le Rue

Vom Hochrisiko-Sportler zum Nachhaltigkeits-Botschafter.

Xavier de le Rue ist ein Ausnahmekönner in vielerlei Hinsicht. Zuerst wur­de er 2001 mit 22 Jahren erstmals Snow­­­board­­cross-Weltmeister, wiederholte diesen Erfolg 2002, 2003 und 2007, um sich dann an der neu gegründeten Freeride World Tour 2008-2010 als dreifacher Gewinner einzutragen. Seine wahre Leidenschaft galt aber immer dem Big Mountain Snowboarden. Seine Filme gehören zum Spektakulärsten, was das Snowboarden hervorbrachte. Im Laufe der Jahre wurde sein Stil komplexer, er kombinierte Alpinismus und Snowboarden, wurde zum Verfechter des Splitboards, verzichtete mehr und mehr auf Helikopter und engagiert sich heute mit seinen «Sustainability Dialo­gues» für Nachhaltigkeit.

Wieso hast Du Dich mit der Familie in Verbier angesiedelt?
Verbier hat einen tollen Mix zwischen Sport-Community, Lockerheit des Lifestyle. An einem Tag wie heute könnten wir morgens biken, nachmittags snowboarden. Hier in der Schweiz funktioniert alles – wenig aufgeregt. Man kann Fun haben, aber auch seine Ruhe, wenn man sie braucht.

Alpinismus und Snowboarden

Wie hat sich das Snowboarden für Dich entwickelt?
Ich fing mit Alpinboarden und Freestyle an, Boardercross entsprach meiner Wettkampfpersönlichkeit. Aber schon als Kind schaute ich die Berge hoch, stellte mir Lines vor, die ich runterfahren könnte. Mit der Entwicklung des Snowboardens wurde dies dann tatsächlich möglich! Aus Traum wurde Realität.
Die Skifahrer waren schon früh in den steilen Bergen unterwegs, dann drehten die Amerikaner die ersten Snowboard-Filme in Alaska Ende der 90er Jahre. Mich hat es immer gestört, dass Snowboarden und Alpinismus sich kaum berührten. Meine Passion war es, beide Welten miteinander zu verbinden, um noch schönere Plätze und Hänge zu erreichen, in schwierigem Gelände agiler zu werden. Gleichzeitig kam das Splitboarden auf. Das Material wurde besser. Damit waren wir Vorreiter für eine Entwicklung und Herangehensweise an hochalpine Touren und Lines, die vorher nicht denkbar waren und heute «normal» sind. Später kann noch Paragliding ins Spiel, was die Abenteuer noch verrückter machte.

Und Xavier de le Rue war immer an vorderster Front der Entwicklung?
…(lächelt ein wenig verlegen). In gewisser Hinsicht pushte ich mich selber und lotete alle Möglichkeiten aus. Die Filme, die daraus resultierten, inspirieren sicher einige Menschen.

Was sagt ein Xavier de le Rue seiner Tochter im Teenager-Alter, wenn sie die gleichen verrückten Lines fahren möchte?
Das ist eine knifflige Frage. Zu Beginn reagierte ich ein wenig abrupt. Aber die Fortschritte meiner Tochter beim Boarden zu sehen, änderte meine Meinung, öffnete mir die Augen. Sie lernte Schritt für Schritt, Selbstverantwortung zu übernehmen, Situationen einzuschätzen und Entscheidungen zu fällen. Erstaunlich.

Dabei ist ja Analyse und Intuition wichtig?
Genau, es geht nicht nur darum, Techniken zu lernen, sondern auf das eigene Herz zu hören, in schwierigen Situationen muss man auch abbrechen können, um das Quentchen Risiko zu vermeiden, welches tödlich enden kann.

© Photos Tero Repo

Risiko und Wissen

Du bist selber 2008 unter eine Lawine geraten…
Exakt (dreht sich um)… da hinten steht der Berg, an welchem mich eine Lawine 2 km weit über 1000 Höhenmeter (!!) hinuntergerissen hat. Snowboarder zeigten sich damals sehr zurückhaltend gegenüber Lawinen-Airbags. Ich benutzte fast zum ersten Mal einen solchen ABS-Airbag. An diesem Tag wirkten mehrere Zufälle zusammen. Ein anderer Fahrer kam kurz zuvor in eine Lawine, wurde durch den Airbag gerettet, worauf ein Kollege meinte, dass wir es mal ausprobieren! Der Airbag rettete mir mein Leben, sonst wäre ich unter 6 Meter Schnee begraben worden.

Der Umgang mit Risiko hat Dich dann auch zur How-to-Filmserie inspiriert, wo Du dein Wissen weitergibst?
Der Umgang mit Risiko ist schmerzhaft. Unsere Filme zeigen ja die verrückten und spektakulärsten Seiten dieses Sports. Ich wollte mit den How to-Lernfilmen den Leuten zeigen, was dahintersteckt und mein Wissen weitergeben, auch etwas Zeitloses hinterlassen, was den Menschen konkret hilft.

Der spektakulärste Moment in einem Abenteuer ist der Moment auf dem Gipfel, bevor man losfährt?
Ja. Das ist ein Moment, wo sich die Schönheit des Berges und der Ausblick mit körperlichem Stress und Herzrasen zu einem unvergesslichen Mix in die Seele einbrennen. Man schärft sich in Gedanken nochmals die Linie ein, geht alles im Kopf durch. Sobald man losgefahren ist und die ersten Schwünge hinter sich hat, übernimmt das Unterbewusstsein die Kontrolle – das ist jedesmal ein magischer Moment. Da lernt man viel über sich selber, die eigenen Emotionen. Dieser Moment ist wie eine Offenbarung, ein komplettes Loslassen, wo das Ich mit dem Berg verschmilzt. Das wirkt ein wenig wie eine Droge. Wenn man es einmal erlebt hat, will man es wieder erleben.

Welche Entwicklung hat der Mensch Xavier de le Rue hinter sich?
Ich kann mich glücklich schätzen. Ich konnte meine Träume leben, snowboarden, filmen, reisen. Heute denke ich kritischer über Heli-Boarding. Bei Expeditionen braucht man sie, um abgelegene Orte überhaupt zu erreichen. Grundsätzlich denke ich heute, dass das Erlebnis aus eigener Kraft mehr Intensität und Zufriedenheit verschafft.

Xavier de le Rue über Sport und Nachhaltikeit

Die aussergewöhnlichste Erfahrung?
Abgesehen von dem magischen Moment, den ich vorher beschrieben habe, war es vielleicht die Antarktis-Expedition, wo ich an einem gewissen Punkt am Captain’s Face stand und die wohl steilste Linie betrachtete, die ich je gefahren bin. In einem gewissen Sinne fügten sich da alle meine Erfahrungen zu einem einzigen Moment zusammen.
Mit zunehmendem Alter hat sich meine Betrachtung der Welt von diesen Momenten weg verlagert hin zur Nachhaltigkeit. Wenn man Natur liebt, muss man sich zwangsmässig damit beschäftigen. Johan Rockström, Direktor des weltberühmten Potsdam-Institutes, überzeugte mich, dass jeder in seinem Alltagsleben einen kleinen Beitrag gegen den Klimawandel leisten kann. Das und meine Kinder motivierten mich, solche Einsichten in meinen Sustainability-Podcasts weiterzugeben. Wir wollen ja letztlich unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen.

www.xavierdelerue.com
1936 Verbier | Switzerland

Daniel Chardon

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