Doug Aitken – Bewegte Stille

Als ich zum ersten Mal ‚Mirage Gstaad‘ sah, war ich schlicht fasziniert. Ein Haus in den Bergen, welches den sich ständig wandelnden Himmel spiegelt, dabei keine Türen und Fenster aufweist, ein offenes menschliches Kaleidoskop für jeden Besucher, der sich hinein- und hinausbewegt. Je mehr ich über den Künstler Doug Aitken erfuhr, desto mehr faszinierte er mich. Er ist einer der angesagtesten Multimedia-Künstler weltweit. Seine sich als Video, Happenings, Unterwasserinstallationen oder Ton-Licht-Tanz-Skulpturen präsentierende Kunst ist ein lebendiger Spiegel zu unserer Welt.

‚Mirage Gstaad‘, die feste Installation von ‚Elevation 1049‘ oberhalb von Gstaad (bis 2021) ist eine Referenz an das urtypische amerikanische, millionenfach gebaute Vorstadt-Einfamilienhaus, welches sich wiederum an das Ranch-style Prairie House des berühmten Architekten Frankl Lloyd Wright anlehnt. Sie sind schlicht, ohne jeden Schmuck. Mit ‚Mirage Gstaad‘ treibt Aitken die Reduktion auf die Spitze. Sämtliche Oberflächen (!) sind verspiegelt., absorbieren oder reflektieren die Umgebung, je nach Standpunkt des Betrachters. Es ist auch die Reise eines Hauses, welches den Endpunkt der amerikanischen West-Migration symbolisiert und das nun nach Europa «zurückkehrt».

Portrait of Doug Aitken. Photo by Ami Sioux
Portrait of Doug Aitken. Photo by Ami Sioux

Mit ein wenig Einsatz ergab sich ein Interview mit diesem «Bewegungskünstler», der fast immer gleichzeitig an mehreren Projekten arbeitet. Diesmal ist er gerade in London unterwegs, um die Ausstellung «Return to the Real» in der Victoria Miro Gallery zu installieren – mit tongewaltigen stillen und sich drehenden Skulpturen als auch Instrumenten – sich der digitalen Debatte widmend.

Landschaftskunst

Doug, mit welcher Absicht hast Du die Installation ‚Mirage Gstaad‘ in den Schweizer Alpen platziert?
Ich wollte ein Kunstwerk, das aktiv und nicht passiv war. Ich wollte ein Kunstwerk schaffen, das sich kontinuierlich verändert. Jedes Mal, wenn du Mirage betrachtest, erscheint es anders, in einem anderen Licht, vor einem anderen Himmel. Dieses Kunstwerk steht im ständigen Dialog mit dem Betrachter, es lebt. Wir leben in einer Welt der Bilder und ich wollte ein Kunstwerk schaffen, welches ständig wechselnde Bilder erzeugt und den Betrachter in einen neuen Prozess einbezieht. Ich begann mit der Präsentation von Mirage in einer Wüste (Coachella Wüste bei Palm Springs). Mir schwebte schon immer vor, es in eine ganz andere Umgebung zu bringen, zum Gegenteil: Berge mit Schnee, Bäume und Panoramablick. Im Schnee würde es sich fast unsichtbar auflösen, sozusagen verschwinden. Die Zyklen der Natur werden in der Reflexion zu Kunstwerken – mit dieser provokanten Idee umarmt das Kunstwerk den Wandel.

Was will uns deine Landschaftskunst sagen? 
Ich lebe in einer sehr vielfältigen Umgebung an der US-Westküste. Wir haben Berge, Schnee, Ozeane und Wüsten. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Ideen, wie ich die Betrachter meiner Kunst mit der Landschaft in Verbindung bringen kann. Es geht nicht um uns als Individuen, wir sind Teil eines viel grösseren Ökosystems, das uns umgibt. Wie kann ein Kunstwerk eine Brücke schaffen, wie kann es eine wechselseitige Beziehung zwischen Individuum und der umgebenden Welt kreieren? Ich bin sehr angetan von der Idee, dass der Betrachter mit einem Kunstwerk interagieren kann. Wenn wir uns von der Idee des statischen Kunstwerkes lösen, können wir mit dem Prozess des Kunstwerkes eins werden. Dann resultiert daraus tatsächlich ein Dialog zwischen Kunst und Betrachter.

Doug Aitken und die Beschleunigung des Lebens

Welches deiner Kunstwerke hat Dich selber am meisten überrascht? 
Gute Frage! Als Künstler kreierst Du ständig, suchst immer nach einem überraschenden Element, welches die Realität aufhebt. Als Künstler bin ich Teil dieser ständigen Suche. Das ist Kreativität. In meinem letzten Projekt erschufen wir eine fliegende Skulptur namens New Horizons, einen Ballon mit verspiegelter Oberfläche, 30 Meter hoch. Es war einfach beeindruckend, wie dieses Kunstwerk den Himmel verzauberte – und sich ohne jegliche Kontrolle mit dem Wind bewegte. Was die Frage aufwirft: Worüber verlieren wir denn die Kontrolle? So wie euer Magazin natürliche organische Landschaften widerspiegelt, suchen wir nach natürlichen Systemen und wir empfinden das fast als Widerspruch zu den technologischen Bedingungen, unter denen wir leben. Mehr denn je bemühen und kämpfen wir für organische Strukturen und hinterfragen gleichzeitig die uns umgebenden Technologien.

Eine totale Beschleunigung des Lebens….. 
…genau. In der Geschichte der Menschheit gab es noch nie eine Zeit wie diese. Wo wir als Individuen solche Gegensätze in einer derartigen Beschleunigung erleben. Das war für mich der interessante Punkt bei ‚Mirage Gstaad‘: Seine Stille! Man muss dorthin wandern; man verbringt dort Zeit, vielleicht allein, man kann innehalten, sitzen, um die sich spiegelnden Elemente zu beobachten. Dies gibt uns die Möglichkeit, die Wahrnehmung zu verlangsamen – und zu verändern. In seiner Stille schafft dieses Kunstwerk im Idealfall einen echten Mehrwert für die Besucher.

‚Station to Station‘

Aber Doug Aitken lässt sich in kein Schema pressen und nutzt verschiedenste Medien für seine Kunst. Allen gemeinsam sind vielleicht die Aspekte Raum, Zeit und kollektive Erinnerungen – die alle vergängliche Konzepte darstellen. Zum Beispiel initiierte er im September 2013 ein Mega-Projekt namens ‚Station to Station‘. Ein Zug, welcher an neun dafür vorgesehenen Bahnhöfen Halt machte und Performances mit Happenings verband, reiste 4000 Meilen quer durch die USA. Mit ihm fuhren Künstler, Musiker, Schriftsteller und Filmemacher. Darunter Gäste wie der Filmemacher Jim Jarmusch, die Musikerin Patti Smith, Beck und Giorgio Moroder oder der Künstler Olafur Eliasson. Kulinarisch begleitet wurde er von der amerikanischen Spitzenköchin ­Alice Waters. Aitken drehte dabei 62 einminütige Sequenzen, die einen fesselnden Film ergaben.

„Parley for the Oceans“

Ganz anders seine Unterwasser-Pavillons, die Doug Aitken in Kalifornien vor der Küste von Santa Catalina Island installierte. Ein Unterwasser-Kunstwerk, das in Zusammenarbeit mit der Meeresschutzgruppe „Parley for the Oceans“ und dem Aktivisten Cyrill Gutsch entstand. Die Botschaft ist klar: Es geht um die Sensibilität und Zerbrechlichkeit unserer Ozeane. Es ist ein Werk, das auf die radikalen von Menschen verursachten Störungen aufmerksam macht, deren Wirkung wir heute noch nicht vollumfänglich erfassen können.

Der Ort vor der kalifornischen Küste ist kein Zufall, es ist ein fruchtbarer Unterwasserwald, der zu exzellentem Tauchen einlädt. Die Kunstwerke konnten nur schwimmend oder tauchend erlebt werden. Und das war keine leichte Aufgabe! Jede der drei Skulpturen hat Oberflächen, die sowohl glatt als auch reflektierend sind, und solche, die rau sind, worauf sich Algen und Fische angesiedelt und so das Kunstwerk in ihr Ökosystem eingegliedert haben. Symbolisch stellt er mit dem Kunstwerk die Frage, wem die Ozeane gehören und wer über ihre Zukunft entscheidet.

Multimedia-Künstler Doug Aitken

Doug Aitkens Werke wurden in zahlreichen Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt, unter anderem im Whitney Museum of American Art, im Museum of Modern Art, in der Wiener Seces­sion, in der Serpentine Gallery und im Centre Georges Pompidou. Er nahm sowohl 1997 als auch 2000 an den Whitney-Biennalen teil. 1999 erhielt er den Internationalen Preis der Biennale Venedig für die Installation Electric Earth. Aitken erhielt den Nam June Paik Art Center Prize 2012 und den Smithsonian American Ingenuity Award 2013. Im Jahr 2017 wurde Aitken erstmals mit dem Frontier Art Prize ausgezeichnet. Der neue Preis für zeitgenössische Kunst, unterstützt Künstler dabei mutige Projekte zu verfolgen, die die Grenzen von Wissen und Erfahrung hinterfragen, um die Zukunft der Menschheit neu zu gestalten.

  • Installation view, Avalon, California. Gallery Courtesy Line: Courtesy of the Artist, Parley for the Oceans and MOCA, Los Angeles. Photo by: Shawn Heinrichs.
  • Installation view, Avalon, California. Gallery Courtesy Line: Courtesy of the Artist, Parley for the Oceans and MOCA, Los Angeles. Photo by: Shawn Heinrichs.
  • Doug Aitken
  • Mirage 2017 Desert X installation view. Courtesy the artist and Desert X. Photo Doug Aitken Workshop.
  • Station-to-Station.

DOUG AITKEN

Mirage Gstaad, 2019:
Installation on view until January 2021. Access from Gruben or Schönried train station by foot via hiking trail: – From Gruben 15 min – From Schönried 20 min. Strictly no parking near the installation.

www.dougaitkenmirage.com

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