Stephan W. Feierabend, Anna-Katharina Straumann, Lionel Eaton, Daniel Chardon, Alberto Friedrich, Martina Russi. Bild: wongwannawat.com

Velomenschen heute.

Wir trafen uns am 23. April 2015 zu einer lockeren Runde in Zürich in der loft5. Jeroen van Rooijen, der Organisator des Style ride Zürich, hatte einige Freunde eingeladen. Heraus kam ein round-table, welches die Eckpfeiler von “urban cycling” thematisiert.

Fazit: es geht nicht um Radstreifen und Velopolitik, sondern um Stil, Freiheit und Emotionen.

DIE VELO-SOPHIE

Was bedeutet Velofahren für Euch?

Jeroen: Ich bin kein Veloaktivist, Style Ride ist unpolitisch und undogmatisch. Die Veloszene finde ich oft eher unerfreulich, weil sie sich mit mangelnden Radstreifen oder Parkplätzen, also mit dem Mangel beschäftigt. Was mich fasziniert, ist dieses tolle und schöne Gefühl beim Velofahren durch die Stadt. Da mangelt es mir an nichts. Alberto: Ich komme aus Buenos Aires, dagegen ist Zürich ein Veloparadies. Die Urban Biking Szene ist keine Kampfszene, sondern es geht um ein Miteinander, wir sind selber mal hinter dem (Velo)Lenker, mal hinter dem (Auto)Steuerrad, schliessen also das jeweils Andere nicht aus. Im Unterschied zum Freizeitradfahren geht es hier in der Stadt aber um Mobilität. Jeden Kilometer, den man per Fahrrad zurücklegt, ist so gesehen ein guter Kilometer, weil ich ihn CO2-neutral zurückgelegt habe. Nun kann man sich den Stil aussuchen, mit dem man dies tut. Jeroen: Das Velo ist im urbanen Bereich ein „Talking Piece“. Alberto: Genau, wo früher die Identifikation über das Auto und den Porsche  führte, tut sie dies im urbanen Bereich mehr und mehr über das Fahrrad. Jeroen: Auf einem schönen Rad wirst Du auch anders wahrgenommen. Stephan, du bist ja das Paradebeispiel…   Stephan: Nach 20 Jahren unterwegs-sein auf meinem ein wenig speziellen Velo (Pedersen) begrüsst man mich manchmal mit den Worten „Sind Sie der mit dem Velo?“ Ich bin sommers wie winters tagaus tagein mit dem Velo unterwegs. Zuerst habe ich mich einfach in mein Velo verliebt, es war schlicht schön, im Nebeneffekt war es auch bequem. Ich liebe auch schöne Autos, aber in der Stadt habe ich nicht den Nerv dafür. Mit dem Velo kommt man sehr gut durch Zürich. Natürlich gibt es einige Engpässe, aber ich glaube nicht, dass wir zig Millionen in Radwege investieren müssen. Mein Highlight ist bereits, nicht ein Tram oder ein Auto benützen zu müssen. Lionel: ich bin 35, habe noch nie ein Auto besessen, weil ich halt in der Stadt lebe. Auf dem Land wäre das wohl anders. Das Velo ist für mich ein Liebhaberobjekt. Velos durchdringen inzwischen auf bedeutende Art den urbanen Raum. In Zürich kann ich in weniger als 30 Minuten fast die ganze Stadt durchqueren. Das ist in Berlin nicht mehr möglich. Jeroen: Martina hat eine spezielle Art, Velo zu fahren. Ich erkenne sie von weitem an ihrer Haltung! Martina: Ja, stimmt, das Hollandrad, das ich benutze, ermöglicht ein sehr entspanntes und aufrechtes Fahren. Zudem ist mein Kopf auf SUV-Höhe, dazu kommt ein breiter Einkaufskorb. Die Autos räumen mir so automatisch mehr Platz ein als anderen Velofahrern.

DER VELO-GAU

Was ist das Schlimmste, was einem Velofahrer passieren kann?

Stephan: Als mir nach 19 Jahren mein Pedersen gestohlen wurde, kam es mir vor, als ob ein Teil von mir selber fehlte. Ich hatte eine sehr persönliche Beziehung zum Rad entwickelt. Alberto: Das ist die Folge davon, dass Menschen keine Industrieprodukte mehr suchen und wenn, dann wollen sie sie individualisieren. Daraus entsteht die persönliche Beziehung. Der Klau ist dann natürlich der Gau. Die Frage ist, wo man sie hinstellt. Anna-Katharina: Normale Velos lass ich draussen stehen. Mein heissgeliebter Guv’nor steht nachts in meinem Wohnzimmer… Jeroen: Ich stelle mein Velo absichtlich immer gut sichtbar ab. Stephan: Mir wurde es am helllichten Tag vor der Haustüre gestohlen. Alberto: Hattest Du es festgekettet? Stephan: Ausnahmsweise nicht… (alle lachen)

DER VELO-STIL

Worum geht es denn beim Velo-Stil?

Velo mit Stil heisst: das Velo individuell, persönlich gestalten. Zu einem solchen Rad entwickelt man eine Beziehung. Das Velo wird Teil von einem selber.

Jeroen: Es geht um Ästhetik. Man will sich Alltagsgegenstände verschönern, sucht sich das Besondere. Ich ringe immer noch mit der Frage, ob das alte Militärvelo schön ist. Aber es fahren zum Teil fiese Leute damit rum. Alberto: Die sind wirklich schön. Anna-Katharina: Toll finde ich vor allem, dass sich das Modell seit 1905 kaum verändert hat und die Fahrräder offenbar extrem stabil und unverwüstlich sind. Jeroen: Ich warte auch auf das Revival des Peugeot-Klappvelos, des Mittelformates. Alberto: Ja, schön, die wurden auch nachgebaut, man kommt damit aber kaum vorwärts, das erinnert eher an Zappeln auf der Strasse… Lionel: Für junge Leute ist zum Beispiel ein Faltrad stilmässig ein No-Go. Alberto: Der Stil ist für jede Stadt anders, in London wird ein Faltvelo von Brompton besser akzeptiert als in Zürich. Jeroen: Ich hatte eine Zeit lang ein Swifty, ein Falt-Trottinett, aber es war mir dann doch zu langsam. Alberto: Was mir fehlt, sind die lokalen Produktionen und Fahrradmarken, Villiger, Cresta, sind alle weg. Jeroen: Da liesse sich doch was retro-mässig machen. Wir haben ja in der Schweiz kleine Spezialisten wie Gorilla oder grössere wie BMC oder Flyer…Alberto:BMC ist was für Sportler. Jeroen: …und Flyer, da würde ich lieber auf allen Vieren gehen. Anna-Katharina: Corinne Mauch fährt einen roten Flyer, besser als ein Auto… Jeroen: Im Modebereich gab es gute Ansätze von H&M oder jetzt auch von Levi’s. Martina: Nicht jeder möchte sich primär funktional anziehen. Das Velofahren soll mich nicht in meiner Kleiderwahl einschränken, High-Heels oder Röcke funktionieren wunderbar auf dem Damenrad. Stephan: Zu funktional würde es sofort kompliziert machen. Ich will ja meinen eigenen Kleider-Stil pflegen können. Das einzige, was wirklich fehlt, ist ein schönes leichtes zusammenlegbares Regencape. Jeroen: wir haben eines bei uns im Geschäft… von Brooks.

VELO-CITY

Wo steht die Velo-Stadt heute?

Lionel: Ich stelle immer noch fest, dass Architekten fast überwiegend Neubauten ohne durchdachte Veloparkplätze entwerfen. Jeroen: Die werden eben meistens nachgeschustert… Lionel: Nördlich und südlich des Hauptbahnhof gibt es seit längerem abschliessbare Dauermiet-Parkplätze für Velos. Jeroen: Aber die Struktur von Velo-Parkplätzen ist schon mangelhaft. Da stehen manchmal einfach 100 Velos in einem wilden Haufen. Das ist ein Schwachpunkt. Stephan: Ein Drive-In Café für Velofahrer wäre doch mal ne Idee. Wo man das Velo an den Tisch nehmen kann. Alberto: Das geht gar nicht so einfach in der Schweiz wegen der Hygienevorschriften. Deshalb hat Velo-Elsener das Cafe vom Velogeschäft trennen müssen, aber das Cafe Che von Elsener im Seefeld ist eines der ersten Projekte in diese Richtung. Anna-Katharina: Der Zweiradgeber macht da auch einen guten Job, wo man was zu trinken bekommt, wenn man was reparieren lässt. Jeroen: Der beste Platz in Zürich ist der Sechseläutenplatz, da kann man Runden drehen, hat Publikum, kann also Stil zeigen… (alle lachen). Alberto: das Lasalle (im Schiffbau) ist ein Treffpunkt, wo immer viele schöne Velos zu sehen sind.

Wo trifft sich die Urban Szene sonst regelmässig?

Es ist Zeit für das erste drive-in café für Velofahrer

Jeroen: in Zürich ist es wirklich der Style Ride. Alberto: die Bike Days sind der Anlass in der Schweiz, aber die Urban Szene trifft sich da nicht… Jeroen: Es gab auch Anfragen aus Basel, Bern und Basel, solche Veranstaltungen dort durchzuführen. Ich hab das für mich noch nicht beantwortet. Lionel: Ein „regular meeting“ wäre schon denkbar, zB im sog. PechaKucha-Format. Also kurze Vorträge, 20 Bilder x 20 Sekunden Sprechzeit.

VELO-EVENTS

Wohin geht man im Ausland, wenn man Cycling mal anders erleben will?

Anna-Katharina: Ich gehe dieses Jahr wieder an die Eroica Britannia. Im Gegensatz zum Tweed Run in London etwa, wo Leute einfach Vinatge-Klamotten zur Schau tragen, geht es bei der Eroica primär tatsächlich ums Velofahren.Da fährt man 30, 55 oder 100 Meilen Hügel rauf und runter. Nach 3400 Anmeldungen haben die Veranstalter die Barriere geschlossen. Inzwischen gibt es Eroica in mehreren Ländern auf drei Kontinenten. Jeroen: Das Beret Baguette in Paris soll auch toll sein: entspanntes Fahren inmitten von Paris, im Bois de Boulogne, mit gemütlichem Picknick. Es erinnert an die Zeiten, wo man mit dem Fahrrad und dem Beret auf dem Kopf seine Sonntagszeitung und sein Baguette holte. Das finde ich ein tolles Symbol für Urban Cycling.

Photograph: wongwannawat.com

  1. Hat dies auf The Big Bike Boom rebloggt.

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