Anouk Wipprecht, Designerin.

FASHION, BRAIN WAVES & EMOTIONS

Anouk Wipprecht erinnert an Pioniere wie Tesla, Jules Verne oder da Vinci. Den Zeitgenossen kommen sie jeweils fremd vor, zu innovativ waren und sind ihre Ideen. Sie sind meist Vorboten einer noch nicht genau definierten Zukunft. Ihre Ideen sind rückblickend oft visionär. Wipprechts Vision ist es, Kleider zu kreieren, die wissen und erfühlen, was wir wollen, physisch wie mental. Die eingesetzte Technologie, deshalb der Begriff Fashion Tech, soll uns letztlich dabei helfen, uns besser zu verstehen, die Kleidung wird zum äusseren Ausdruck innerer Gefühle.

Gleichzeitig ist sie eine weibliche Vorreiterin. Sie wünscht sich mehr Frauen, die Technologie innovativ nutzen und Führungsrollen einnehmen. Zu Beginn sei sie als Frau nicht ernst genommen worden, aber die Zahl der Firmen wie Intel wächst, die Frauen gezielt fördern.

Anouk Wipprecht im Spider Dress
The dress is created with animatronic mechanical limbs with sensors, that protect your own personal space. Conceived to respond to external factors through proximity and respiration sensors, the piece extends or retracts its “spider legs” once the sensors are stimulated. The 3D printed (white) version is created for INTEL. © Photo Jason Perry.

Anouk Wipprecht. Die Künstlerin

Anouk Wipprecht Kreativität erreicht eine Dimension, die eher die Bezeichnung Künstlerin verdient. Ihre futuristischen Designs, welche sich visuell atemberaubend präsentieren, erinnern manchmal an Gigers Figuren aus Alien. Sie leuchten, sind interaktiv (Spider Dress), bewegen sich, rauchen (Smoke Dress), hören auf den Körper des Trägers und seine Umgebung und reagieren auf die Gefühle des Trägers. Ihr Schritt nach Amerika, vor allem die Ausstattung von Fergie und der Black Eyed Peas für den Superbowl 2011, brachte ihr weltweite Aufmerksamkeit. Engagements bei Audi, Disney oder dem Cirque du Soleil folgten. Sie hält Vorträge an Design Hochschulen, in Wissenschaftsmuseen, versucht junge Frauen zu motivieren, ihren eigenen Weg zu gehen, hat bei ihrem Pangolin Dress auch Menschen mit Autismus-Spektrum und ADHS im Hinterkopf und entwirft für Viktoria Modesta ein künstliches Bein, mit dem ihr Auftritt im neusten Rolls Royce-Werbefilm ikonische Ausmasse annimmt.
Dabei sieht sie noch einen Mangel an Zusammenarbeit zwischen Fashion und Technologie. Zwei Welten, die ihrer Meinung nach in Zukunft mehr zusammenwachsen werden. Künftig könnte es durchaus so sein, dass Bekleidungs-Designs nur ein Upgrade bräuchten. Mode, welche sich der Gefühlswelt des Trägers anpasst, wirft man nicht so leicht weg.

Der Beginn und die Visionen

Wie hat alles angefangen?
Mich haben Computer und Roboter von klein auf fasziniert, mit 14 Jahren startete ich meine Ausbildung im Bereich Fashion, Gestaltung und Mode. Um die Jahrtausendwende war die Technologie noch sperrig, meine Ideen muteten da eher seltsam an, dann wurden die Chips immer kleiner und plötzlich waren meine Ideen realisierbar. Von Beginn an war es meine Vision, dass Bekleidung und ihr Träger miteinander und mit der Umgebung kommunzieren. Klassische Mode empfand ich als zu langweilig! (lacht) Ästhetik alleine genügte mir nicht, ich wollte Bekleidung schaffen, die intelligent ist.

Was waren die ersten Meilensteine?
Sicher die Pseudomorph Fashion 2010. Pneumatische Steuerventile am Hals pumpen Tinte über eine Reihe von absorbierenden Kleiderschichten und erschaffen so magische Illusionen, basierend auf der Körperwärme des Trägers. Die Schönheit von etwas Fließendem oder Schwebendem, subtil atmend, pulsierend, lebendig wie organische Kreaturen. Das erzeugte viel Aufmerksamkeit, es kamen Telefonanrufe aus der halben Welt, auch von Hollywood.

Du folgtest dem Ruf aus USA?
Genau, 2012 durfte ich für die Halbzeit-Show des Superbowl von Fergie mit den Black Eyed Peas ein «leuchtendes» Kleid designen. Ich realisierte schnell, dass in Los Angeles auch verrückteste Ideen leicht umsetzbar sind. Also siedelte ich nach Kalifornien über. Aber ich bin als Kosmopolit weltweit unterwegs (aktuell in Miami zu Hause).

Was ist Anouk Wipprecht alles?
Eine Mischung, Künstlerin, Designerin, Ingenieurin, Technologin, Architektin, Wissenschaftlerin… Viele meiner Acessoires kreiere ich selber mit 3D-Printing-Methoden. Meine Kleidung besteht natürlich sehr oft aus Prototypen, die teils zu eigentlichen Forschungsprojekten werden. Sozialer Raum wird zum Beispiel in USA ganz anders interpretiert als in den Niederlanden, wo Menschen sich viel näher kommen. Meine Kleidung, welche soziale Interaktion misst, reagiert da völlig unterschiedlich.

Und die Projekte gingen immer weiter?
Ja. Sensoren und Mikroprozessoren zeichnen gewisse Aktivitäten auf, Körpersensoren messen einen Herzschlag, so umgesetzt beim Heartbeat Dress mit Swarowski. Ich ging dann aber noch weiter, ich wollte ein lernendes System schaffen, welches die Selbsterkenntnis des Trägers steigert, einen Biofeedback gibt. Im Rahmen der SPARKS-Residency am Ars Electronica Future Lab in Linz haben wir – in Zusammenarbeit mit Neurowissenschaftlern und Experten – ein Headset in Form eines Einhorns entworfen, das die Beobachtungen der Träger mittels EEG erfasst.
Wenn die Fokusschwelle des Trägers 80 Prozent erreicht, wird eine Filmaufnahme gestartet, um den Aufmerksamkeitspunkt des Trägers zu protokollieren. Mein Ziel war es, nicht nur zu zeigen, was die Aufmerksamkeit erregt, sondern, wodurch diese ausgelöst wird. Durch den transdisziplinären Ansatz der ars electronica hatten wir u.a. Zugang zum Autismuskompetenzzentrum und konnten wichtige Aspekte aus Studien in das Konzept integrieren. Fernziel wäre es, Kindern mit einer Störung aus dem Autismus-Spektrum und ADHS die Kommunikation mit ihrer Umgebung zu erleichtern.

Pangolin Dress und Fashion Tech

Was hat Anouk Wipprecht aktuell beschäftigt?
Das grösste Projekt war der Pangolin Dress. Das Kleid sieht wie ein Exo-Skelett aus, das sich von den Schultern über die Hüfte hinab bis zu den Knien erstreckt. 32 daran angebrachte kleine Motoren steuern je eine LED-Lampe, die sich im Kreis bewegt und in verschiedenen Farben leuchtet. Das schwierigste Teil wurde mit der Johannes-Keppler-Universität und der NeuroTechnologie-Firma g.tec entwickelt: Eine Kopfbedeckung, welche wie bei einem EEG mit insgesamt 1’024 Sensoren (Brain-Computer-Interface) augestattet ist und die Gehirnströme misst. Das Kleid visualisiert dann die Daten der Signale. Wenn man in einem meditativen Zustand ist, leuchtet es lila. Bei neutralem Zustand leuchtet es blau. Ist man hektisch, leuchten die weißen LEDs und die Motoren bewegen sich. Es visualisiert also in Echtzeit, welche Daten vom Kopf empfangen werden. Man kann lernen, das Kleid mental zu steuern. Dem Kleid den Namen gegeben hat das Pangolin mit seinem Schuppenpanzer, welches an die verkabelte Kopfbedeckung erinnert.
Lustigerweise präsentierte fast gleichzeitig Elon Musk mit der Firma Neuralink sein Brain-Computer-Interface. Wir werden in Zukunft dadurch noch mehr über uns selber lernen.

Der Mensch als transparentes Fluidum?
Ja, was auch für die Models nicht ganz einfach ist! Aber nachdem wir erklärt hatten, was wir tun, waren sie begeistert.

Wie teilt sich die Tätigkeit von Anouk Wipprecht auf?
Je ein Drittel meiner Tätigkeit verteilt sich auf: Firmen, mit denen ich zusammenarbeite, Forschung und Entwicklung, die ich für mich selber betreibe, und ein Drittel sind Vorträge, Workshops und Unterricht, von Universitäten bis zu Schulen, um Kinder und Mädchen zu motivieren, hinter die Fassade der Technologie zu blicken. Das sind oft auch ehrenamtliche Arbeiten. Das ist wirklich meine Leidenschaft, mein Wissen auch weiterzugeben.

Hauptprobleme, Entwicklungen?
Die tech-angereicherten Kleidungsstücke lieben kein Wasser! (lacht) Aber auch Waschmaschinen-Hersteller arbeiten dran, die Maschinen sind bereits im Entwicklungsstadium. Das andere sind Batterien, welche sich der Flexibilität des Körpers zu wenig anpassen. Da experimentieren wir mit flexiblen Solar Panels. In der Produktion hat sich aber enorm viel getan. Ich kann eine Idee am Computer entwerfen, dann geht es zu einer Firma, welche mit SLS (Selective Laser Sintering) im 3D-Verfahren Prototypen herstellt. Ich programmiere, verbinde diese mit textilen Strukturen. Im Falle des Pangolin-Kleides sollten wir in der Lage sein, mit einem drahtlosen System zu arbeiten. Dies wird in Zukunft ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

PROCESS || PANGOLIN SCALES BCI + Dress: ‚Neurotechnology meets FashionTech‘ from Anouk Wipprecht on Vimeo.

www.anoukwipprecht.nl

Daniel Chardon

  1. […] Arbeit eines Modedesigners stellen sich die meisten vermutlich so vor: Da sitzt jemand an einem Tisch, der aus Stoffen […]

  2. […] Name hört sich an wie der einer Superheldin aus einem japanischen Manga. Aber Lina Wassong ist Fashion-Tech-Designerin. Sie hat Bekleidungstechnik studiert, in Los Angeles und San Francisco gelernt und gearbeitet und […]

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