KREISLAUFWIRTSCHAFT

Im Jahr 2005 umsegelte Ellen MacArthur als schnellste Soloseglerin die Welt. 71 Tage allein auf dem Meer, konfrontiert mit der unglaublichen Kraft und der überwältigenden Schönheit der Natur, begann Ellen, über die Zerbrechlichkeit der Systeme nachzudenken, die wir aufgebaut haben. Ihr Boot war ihre Welt, ihr Überleben hing ausschließlich von den wenigen Lebensmitteln, dem Treibstoff und anderen Vorräten ab, die sie mitgebracht hatte. Sie erkannte, dass es mit unserer globalen Wirtschaft nicht anders ist – sie hängt vollständig von den endlichen Ressourcen ab, die wir fördern, nutzen und dann entsorgen. Indem sie sich die Funktionsweise unserer Wirtschaft ansah, erkannte sie, dass wir unser Wegwerf-Wirtschaftsmodell in ein Modell umwandeln müssen, das auf den Grundsätzen einer Kreislaufwirtschaft beruht. Fünf Jahre später gründete sie die nach ihr benannte Stiftung, um diesen Übergang zu beschleunigen.n.

Ellen MacArthur Foundation Andrew Morlet

Bei den Engadine Art Talks 2022 trafen wir Andrew Morlet, den CEO der Ellen MacArthur Foundation, um mehr über dieses – das wurde mir in vielen Gesprächen klar – eher unbekannte Thema zu erfahr

Kreislaufwirtschaft

Andrew, können Sie uns eine kurze Einführung in die Ellen MacArthur Foundation und die zentrale Idee der Kreislaufwirtschaft geben?
Wenn wir über die Kreislaufwirtschaft sprechen, geht es darum, Produkte und Materialien länger in Gebrauch zu halten, unnötige Abfälle und Umweltverschmutzung zu vermeiden, den Bedarf an Ressourcen zu verringern und der Natur Raum zur Regeneration zu geben.

Eine neuen Denkweise! Sollte Kreislaufwirtschaft an den Universitäten und in den MBA-Kursen stärker gelehrt werden?
Bei der Gründung 2010 konzentrierte sich ein kleines Team zunächst auf die Ausbildung. Heute arbeiten wir mit Hunderten von Hochschulen auf der ganzen Welt zusammen. Wir haben eigene Sti­pendienprogramme ins Leben gerufen und sind dazu übergegangen, die formale Bildungsarbeit, die wir mit Universitäten geleistet haben, durch informelles Lernen und offenes Lernen im Internet zu ergänzen.

Die Welt sieht sich derzeit mit Krieg, Inflation, möglicherweise Rezession konfrontiert – behindert dies den Fortschritt?
Viele Unternehmen sind in der Tat aktuell herausgefordert. Sie stehen aber auch unter einem noch nie dagewesenen Veränderungsdruck aufgrund von Klimawandel und Verlust der Biodiversität.
Unsere Berichte zeigen auf, dass wir sowohl mit Ressourcenproblemen als auch mit katastrophalen Umweltschäden konfrontiert sind, wenn wir uns NICHT der Kreislaufwirtschaft zuwenden und stattdessen an unserem linearen Wirtschaftsmodell festhalten.
Die Kreislaufwirtschaft bietet angesichts der Verschwendung, das das derzeitige lineare Modell mit sich bringt, enormes Wertschöpfungspotential in Höhe von Billionen von Dollars. Diese Tatsache in Verbindung mit dem wachsenden Druck von Investoren, Kunden und politischen Entscheidungsträgern bedeutet, dass Unternehmen, die nicht handeln, ein echtes Risiko für ihre künftige Wettbewerbsfähigkeit eingehen.

Kreislaufwirtschaft und Global Player

Die Liste Ihrer Mitglieder liest sich wie ein globales „Who’s who“ der Industrie, von BlackRock bis Nestlé. Können wir diesen Global Playern vertrauen?
Die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, sind nicht nur Global Players sondern in vielerlei Hinsicht führend in dieser Idee. Sie investieren Dutzende Millionen, in einigen Fällen sogar Milliarden, um Kreislaufwirtschaft in ihre Unternehmen zu integrieren.
Die Unternehmen investieren in Infrastrukturen, Lieferketten und Unternehmensökosysteme, in ihre Produkte, ihr Design und digitale Lösungen. In den fortgeschrittensten Fällen sind es regenerative Unternehmen, die darin ihre Zukunft sehen und sich so schnell wie möglich darauf zu bewegen.
2019 haben wir BlackRock dabei unterstützt, seinen ersten aktiv verwalteten Kreislaufwirtschaftsfonds aufzulegen. Der Fonds zielt darauf ab, Investitionen in Unternehmen zu fördern, die zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft beitragen. Der Fonds erreichte bereits vor dem derzeitigen allgemeinen Marktabschwung ein verwaltetes Vermögen von mehr als zwei Milliarden Dollar. Auch unsere Zusammenarbeit mit Banken bei der Entwicklung von Finanzprodukten, die Unternehmen den Umstieg erleichtern, ist von entscheidender Bedeutung.

Warum haben wir so lange über Nachhaltigkeit und nicht über Kreislaufwirtschaft gesprochen? Wer waren die Pioniere?
Der Schweizer Walter Stahel ist seit 1982 ein Verfechter dieser Idee. Michael Braungart und William McDonough haben ‚Cradle-to-Cradle‘ initiert, Janine Benyus die Biomimetik, Thomas E. Graedel die industrielle Ökologie. Wir haben versucht, ihre Ideen in einen gemeinsamen Rahmen zu stellen und die wirtschaftliche Logik zu etablieren.

Wiederverwendbarkeit

Der Bericht „The New Plastics Economy: Rethinking the future of plastics“, der 2016 in Davos vorgestellt wurde, war eine Initialzündung?
Im Jahr 2012 hatten wir eine Handvoll CEOs, mit denen wir uns am Rande des WEF getroffen haben. Dann haben wir unsere ersten beiden Berichte mit Unterstützung von McKinsey & Company erstellt. Wir sprachen nicht über Nachhaltigkeit, sondern über ein anderes Wirtschaftsmodell, das neue Formen der Wertschöpfung durch die Beseitigung und Aufwertung von Abfällen darstellt.

… was im Gegensatz zu den Entwicklungen der letzten Jahre steht!
In den letzten 20 Jahren haben wir tatsächlich eine Beschleunigung bei der Wegwerfmentalität erlebt. Man produziert billige Produkte mit der Absicht, sie leicht entbehrlich zu machen.
Die große Aufgabe besteht nun darin, sich auf die Gestaltung von Produkten und Dienstleistungssystemen zu konzentrieren, welche die Produkte in Gebrauch halten und positive Auswirkungen auf die Natur haben. Beispiele hierfür sind Systeme zur Wiederverwendung von Produkten, der Verleih und Wiederverkauf von Mode, die Aufarbeitung von Produkten und die Wiederaufbereitung mit neuen Geschäftsmodellen.
Über den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt wird viel berichtet, und es ist auch wichtig! Aber das ist nur die eine Hälfte der Antwort. Die andere Hälfte ist die Art und Weise, wie wir Dinge herstellen und verwenden.

und die Politik?

Haben wir noch genug Zeit? Brauchen wir mehr Vorschriften und Steuern?
Als Erstes müssen wir die Tatkraft und das Tempo von Unternehmen anregen. Das Internet, eCommerce, globale Lieferketten – all das hat die Weltwirtschaft innerhalb von 20 Jahren auf den Kopf gestellt. Wir können das globale Industriesystem erneut grundlegend verändern, wenn wir allen Beteiligten die Gleichung vor Augen halten.
Wenn wir an das Bau- und Wohnungswesen denken, müssen wir bessere Lösungen für die Wiederverwendung entwickeln, damit wir nicht alle zehn Jahre alles wegwerfen. Wir müssen die Demontage vorwegdenken, damit die Materialien nicht auf der Mülldeponie landen.
Unternehmen können es nicht allein tun. Wir brauchen eine Politik, die willige Unternehmen in die Lage versetzt, schneller voranzukommen, und alle anderen ermutigt, es ihnen gleichzutun.

In welchen Bereichen erwarten Sie die größten Erfolge?
Ich bin begeistert von der regenerativen Landwirtschaft.Wenn die zehn größten Lebensmittelhersteller und Supermärkte Europas, welche Einfluss auf 40 % der landwirtschaftlichen Flächen haben, entscheiden, die Lebensmittel so umzugestalten, dass sie vielfältigere Zutaten, andere Getreidesorten, andere Kartoffelsorten verwenden und diese auf regenerative Weise anbauen, könnten wir die Landschaft innerhalb von zehn Jahren grundlegend verändern.

UN-Umweltversammlung

Und welche Rolle spielen die Vereinten Nationen?
Anfang dieses Jahres haben 175 Mitgliedstaaten auf der UN-Umweltversammlung in Nairobi einstimmig eine Resolution zur Aufnahme von Verhandlungen über ein globales Abkommen zur Beendigung der Plastikverschmutzung verabschiedet. Dies ist eine einmalige Gelegenheit, die Art und Weise, wie wir Kunststoffe verwenden, neu zu gestalten und sie in die Kreislaufwirtschaft zu überführen.
Seit 2018 arbeitet die Stiftung gemeinsam mit dem UNEP an unserem Global Commitment. Die Unterzeichner der Selbstverpflichtung repräsentieren 20 % aller weltweit produzierten Kunststoffverpackungen und haben sich zu ehrgeizigen Zielen für 2025 verpflichtet, um eine Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe zu schaffen.
Diese Unternehmen suchen nach Möglichkeiten, unnötige Kunststoffverpackungen zu vermeiden, weniger neue Kunststoffe zu verwenden oder die Wiederverwendung von Kunststoffverpackungen zu fördern. Wir brauchen führende Unternehmen, die zeigen, dass dies nicht nur möglich, sondern auch wirtschaftlich attraktiv ist.
Diese Selbstverpflichtung ist zwar eine grosse Herausforderung, hat aber zum ersten Mal eine gemeinsame Vision und Transparenz in Bezug auf die Fortschritte geschaffen und gezeigt, dass weitere Anstrengungen und noch größere Ambitionen notwendig sind. Die Kombination dieser Maßnahmen mit der Politik wird das System in die richtige Richtung lenken.

ellenmacarthurfoundation.org
Headquarters Isle of Wight | UK
The foundation also works in Europe, North and Latin America and Asia.

A diagram listing the 17 Sustainable Development Goals. (UNITED NATIONS)

Lesenswertes zum Thema Nachhaltigkeit


Kreislaufwirtschaft best practice

Too good to go

REDUCING FOOD-WASTE
Die österr. Initiative Too good to go rettet noch genießbare Essensportionen vor der Mülltonne. Über 8,5 Mio. Menschen haben in aktuell etwa 16.500 Partnerläden 19 Mio. überschüssige Portionen vor dem Müll gerettet.
toogoodtogo.at

HELIOZ

SAFE WATER
Das österreichische KMU-Unternehmen HELIOZ setzt ein solarbetriebenes Gerät (WADI) ein, das die Menschen darüber informiert, wann das Wasser trinkbar ist – eine Methode, die das Abkochen (mit Holz!) ersetzt, die Gesundheit verbessert und den CO2-Ausstoß sowie die Luftverschmutzung in Innenräumen reduziert.
helioz.org

Panatere

RECYCLED SOLAR STEEL
Die Schweizer Firma Panatere hat es nicht nur geschafft, Edelstahl aus Metallabfällen der Uhren- und Medizinindustrie zu produzieren, sondern ihn auch mit Hilfe eines industriellen Solarofens umzugießen.
panatere.com

Carbonauten

minus CO2 factory
Die deutsche Firma Carbonauten startet 2022 die Produktion von Kunststoffgranulaten mit bis zu 70 % Biokohlenstoffanteil (Biorestmasse). Jede Tonne speichert bis zu 3,3 T Co2, was ihn nicht nur klimaneutral, sondern Co2 negativ macht.
carbonauten.de

RECYCLEYE

INTELLIGENT RECYCLING
RECYCLEYE entwickelt KI-basierte intelligente Erkennungs- und Sortiersysteme, die es Abfallentsorgungseinrichtungen ermöglichen, Abfälle schneller und präzise zu trennen und so den Recyclinganteil zu erhöhen. Sie gewannen damit den 2022 vom Europ. Patentamt erstmals durchgeführten Young Inventors Prize.
recycleye.com

TRACELESS MATERIALS

TRACELESS MATERIALS
Das deutsche und bereits mehrfach ausgezeichnete Bioökonomie Start-up hat erfolgreich aus pflanzlichen Reststoffen der Agrarindustrie eine vollständig biozirkuläre und kompostierbare Kunststoffalternative entwickelt. Pilotprojekte sind mit OTTO und Lufthansa geplant.
traceless.eu


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