Carlos Gross schaut zurück, auf ein bewegtes Leben. In Asien an Filmsets unterwegs, im Vorbeigehen Marlon Brando in Apocalypse Now bekochend, war er mit seiner Frau Suzanne viele Jahre als Gastronom im Rosengarten Zürich tätig, den sinnigerweise seine Söhne fast 30 Jahre später wieder übernommen haben. Danach war er fast 25 Jahre lang äusserst erfolgreich als Produzent von exklusiven italienischen Gourmet-Zutaten im Piemont tätig. Die Sugi & Antipasti exportierten sich in 36 Länder – bevor er seine Giacometti-Passion Aldier in Sent Realität werden liess.
Schon in seiner Basler Schulzeit beschäftigte Carlos Gross sich mit Giacometti, lernte in seiner Zürcher Zeit den Fotografen Ernst Scheidegger kennen, der Giacometti viele Jahre lang begleitete. Dessen Fotografien, welche die Zimmerfluchten und die Stüva schmücken, sind einer der absoluten künstlerischen Höhepunkte des Hauses. Bei seiner letzten Reise nach Sent 2013 zeigte sich der Fotograf gerührt ob der Platzierung seiner Kunstwerke, die denen Giacomettis durchaus auf Augenhöhe die Hand reichen – dies die subjektive Meinung des Autors.
Die schwarz-weiss Fotografien, welche mich an die Intensität von Caravaggios Licht-Schatten-Malereien erinnern, werden der Magie der Kunst und der fotografierten Künstler wie Stravinsky, Dali, Chagall, Varlin gerecht. Scheidegger lässt uns Giacometti und viele andere Künstler sehen. Seine Bilder spiegeln die Schaffenskraft dieser Menschen, ihre Zerrissenheit, ihr Ringen um künstlerische Wahrheit. Auf die Frage, was ihn an Giacometti denn so faszinierte, entgegnete er einmal: „Er war ein Anarchist.“
Diese Faszination teilt Carlos Gross und breitet in der Pensiun ALDIER, welches sich aus den Vornamen AL(berto), DI(ego) und ER(nst) zusammensetzt, zwar nicht anarchisch, sondern sehr stilvoll, deren Universen aus. Da erblicken wir im Eingangsbereich Skulpturen von Diego Giacometti, der seinem Bruder Alberto auf dessen gesamter künstlerischer Laufbahn ein treuer Weggefährte und seinerseits als Designer tätig war. Von Alberto finden wir im Hotel-Restaurant Grafiken und die erwähnten Fotografien von Ernst Scheidegger.
Und so wird Alberto Giacomettis Universum greif- und spürbar, aus verschiedenen Perspektiven und Winkeln. In einem Hotel, welches seinesgleichen sucht. Jedes Detail, wie zum Beispiel die bewegliche Bibliothek im Restaurant, welche sich im Nu in einen Konzert- oder Lesungssaal verwandeln lässt, die minutiöse und stilvolle Renovation des Tanzsaals, dessen goldene Mittelsäule uns heute noch die rauschenden Feste von damals in Erinnerung ruft, machen deutlich, dass hier ein Mensch seine Seele in ein Hotel gegossen hat.

Die Zimmer
Jedes einzelne Zimmer in der Pensiun Aldier ist ein Kunstwerk in sich, individuell gestaltet, das eine mit Orginalgrafiken von Le Corbusier, das andere mit solchen von Miró oder Chillida ausgestattet. Die Schlichtheit und Reinheit der Linien, welche die Zimmer auszeichnen, hat so gar nichts mit Giacometti gemein. Das intensive Ringen um die Details der Zimmer, welche zwischen Architekt und Freund Duri Vital sowie Carlos Gross stattfand, schon eher. So wie Giacometti um jeden Strich rang, wurde hier an jeder Ecke, an der Gestaltung des Wollvorhangs und um die Auswahl der richtigen Art-déco-Ledersessel gerungen. Das Resultat ist ein Kunstwerk, ein kleines, feines Bijou-Hotel, das in seiner Art unnachahmlich ist. Der Eigensinn des nach Perfektion streben Kunstwerkes ist hier spürbar.
Dieser künstlerischen Spannung völlig entgegengesetzt ist die lockere, entspannte Atmosphäre, welche der Hausherr und die gute Seele des Hotels, Nadja Rybarova, verbreiten. Nach dem Begrüssungskaffee gleitet das Gespräch in eine sehr leckere Mittagessen-Unterhaltung hinüber – nur kurz unterbrochen durch die legere Begrüssung einer Schweizer TV-Grösse, viele kunstaffine Menschen finden sich in der Pensiun Aldier ein.

Alberto Giacometti Museum
Nur unweit steht in diesem intakten Unterengadiner Dorf namens Sent der Skulpturengarten des „heutigen Giacomettis“, des Künstlers Not Vital. Dieses Zusammentreffen gab auf der Suche nach einem geeigneten Standort den Impuls, das altehrwürdige Hotel Rezia zu erwerben und in besagtes Kunstobjekt zu verwandeln.
Zum Schluss sitzen wir im Garten, geniessen die Frühlingssonne, und lassen den Tag im Beisammensein von Jung-Literaten und Gästen mit Kaffee und hausgemachten Kuchen an uns vorüberziehen. Die Ruhe und Stille von Sent hat uns erfasst – nur durchbrochen vom leisen Gurgeln des Dorfbrunnens. Der Moment wird ewig – für einen Augenblick.
www.aldier.ch
Hotel Restaurant Pensiun Aldier
Plan 154
7554 Sent / Unterengadin
Schweiz
[…] an denen Giacometti beteiligt war. Insgesamt über 200 Exponate trug der begeisterte Giacometti-Liebhaber Carlos Gross im Laufe von 30 Jahren zusammen. Alles andere erzählt er gerne persönlich vor […]